Schön schmutzig. Im Teufelskreis von Mikroplastik und anderen Umweltsünden

2023-03-16 17:33:03 By : Ms. Anna An

19 Uhr: mit Vasyl Cherepanyn, Kurator und Johanna Diehl, Künstlerin im Rahmen der Ausstellung Früchte des Zorns – Versuch einer Annäherung: Ukraine. Haus am Lützowplatz | Lützowplatz 9 | 10785 Berlin

Cammack Lindsey, Wem gehört die Welt, 2023, sound installation, PCB, hydrophone, Microcystis aeruginosa, water samples from Müggelsee, epoxy thermoplastic containers, vinyl map, photo, courtesy of Le CCINQ Miguel Pazó Die vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung ist zu unserem ständigen Begleiter geworden. Sie ist mal mehr, mal weniger sichtbar, gefährlich allemal und beeinflusst nicht nur unser Leben, sondern ebenso alles um uns herum. Welch ungewohnter und zugleich erhellender Blickwinkel sich durch die Kunst ergeben kann, zeigen die installativen Arbeiten von Cammack Lindsey, Gülşah Mursaloğlu und Sybille Neumeyer in der aktuellen Ausstellung „Vicious Cycle. Artistic Research on Climat Crisis“ bei Art Laboratory Berlin. Es blubbert, surrt und brummt im Projektraum von Art Laboratory Berlin. Seltsame Schläuche, Kabel und Schnüre hängen von der Decke. Dazwischen schweben bergig anmutende Abformungen mit hellgrüner Flüssigkeit. Auf dem Boden gegenüber steht eine rechteckige Metallwanne, in der Flaschen mit bunten Kügelchen stehen. Eigentlich schön anzusehen, doch aus einer ruhigen Vertiefung in das Werk wird nichts. In unregelmäßigen Abständen fängt das Gebilde rhythmisch an zu ruckeln und zu scheppern, so dass jedes Gespräch unterbrochen wird. Hinter einer Glastür flimmern auf einem blauen Screen Bilder von Insekten, Luftbildaufnahmen und 3D-Konstruktionen. Kleine pyramidenförmige UV-Leuchten flankieren die Leinwand. Die Ausstellung hat was von einem Science-Fiction-Filmlabor, aber es werden keine sonderbaren Kreuzungsexperimente durchgeführt. Statt eines Endzeitfilms findet hier die künstlerische Auseinandersetzung mit der beängstigenden Realität statt. „Wem gehört die Welt?“ heißt die Arbeit Cammack Lindsey, die sich mit der Wasserqualität des Berliner Müggelsees beschäftigt. Seit Jahrzehnten dient der See als Trinkwasserquelle für die Region. Die Wasserqualität leidet jedoch unter der Verschmutzung durch Industrie und landwirtschaftliche Düngemittel. Mit der Verschmutzung steigt auch die Zahl der Cyanobakterien. Diese Bakterien können Kohlendioxid in Sauerstoff umwandeln und unterstützen das ökologische Gleichgewicht. Mit zunehmender Vermehrung sind sie aber auch schädlich für die Wasserqualität. Cammack Lindsey (*1990) beschäftigt sich in ihrer Installation mit diesen Cyanobakterien, die sie in einen direkten Zusammenhang mit der Ausbeutung durch Industrialisierung und Kapitalismus stellt und die letztlich die Grundversorgung gefährden. Mit dem Titel „Wem gehört die Welt“ bezieht sie sich auf den gleichnamigen Film von 1932, dessen Drehbuch von Bertolt Brecht stammt. Spielerisch inszeniert, hängen die grünlichen Wasserproben des Müggelsees in unförmigen Gefäßen wie ein Netzwerk von der Decke, das an die Kolonieformationen der Bakterien erinnert. Hin und wieder wird die Flüssigkeit durch Schläuche aufgewühlt und fängt an zu blubbern. Unter dem Gebilde befindet sich eine stilisierte Karte des Sees, die die Verbreitung der Cyanobakterien zeigt und der Orientierung dient. Lindsey, die unter anderem Kunst und Literatur an der University of Texas studierte, erweitert die Arbeit durch Klangeindrücke in einer dazugehörigen Soundinstallation. Gülşah Mursaloğlu, Devouring the Earth, in Perishable Quantities, 2020-ongoing, aluminium, washing machine filters, Arduino uno, motor, industrial and found microplastics, Photo: Kayhan Kaygusuz In unserem Trinkwasser tummeln sich nicht nur tänzelnde Bakterien, sondern auch Mikroplastik. Im März 2022 bestätigten wissenschaftliche Untersuchungen die Belastung des menschlichen Körpers mit Mikroplastik. Er dient als Katalysator, durch den die winzigen Partikel wandern - nicht nur im Blut oder in Organen, auch die Muttermilch gibt die Stoffe an Säuglinge weiter. Ein Teufelskreis, der nicht zu enden scheint. Gülşah Mursaloğlu (*1989 in Istanbul) greift diesen Gedanken in ihrer Arbeit „Devouring the Earth, in Perishable Quantities“ auf. Im Rahmen des SAHA Studio Programms beschäftigte sich Mursaloğlu während der Corona-Pandemie 2020 mit dem eigenen Immunsystem und dessen Stärkung durch Nahrung und Nahrungsergänzungsmittel. Der Einnahme folgte die Frage, welche Rückstände im Körper verbleiben oder über die Ausscheidung ins Wasser, letztendlich durch Aufbereitung und Wiederverwertung erneut in diesen zurückkehren. Auch naturwissenschaftlich ist noch nicht endgültig geklärt, inwieweit sich kleinste Plastikpartikel in unserem Gewebe anreichern. Die Künstlerin, die sowohl in Chicago Malerei und Zeichnung als auch Soziologie in Istanbul studierte, stellt diesen Kreislauf anhand von dreißig Flaschen in einem Aluminiumbehälter dar. Die kleinen Fläschchen mit den harmlos wirkenden bunten Kügelchen sind Waschmaschinenfilter und gefundenes Mikroplastik. Freudig tanzen sie bei jeder Drehbewegung, doch der Lärm lässt jegliche naive Betrachtung verfliegen. Sybille Neumeyer, souvenirs entomologiques, videostill, 2020 Im separaten, abgedunkelten Nebenraum werden die Folgen des menschlichen Eingriffs in die Natur fortgesetzt. Die zwanzigminütige Videoarbeit „souveniers entomologiques #1: odonata/ weathering data“ legt digitalisierte Insektenkarteien, Wetter- und Luftbilder sowie Landkarten auf einer großen Fotoleinwand übereinander. Dazwischen sind Daten eingeblendet, die an die Eingabe eines Systembefehl erinnern. Sybille Neumeyer (*1982) untersucht die weitreichenden Zusammenhänge zwischen menschengemachter Klimakrise und dem Verlust der Artenvielfalt am Beispiel von Insekten. Neumeyer, die in Würzburg Informationsdesign studierte, verknüpft Biologie, Anthropologie und Geologie. Ihr Video-Essay entstand 2020 in Kooperation mit dem ZKM – Zentrum für Kunst und Medien und dem Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe, weshalb historisches Sammlungsmaterial mit digitaler Aufarbeitung vereint sind. Ihre Arbeit setzt auf eine neue Untersuchung und Ordnung der einzelnen Gattungen, die global betrachtet werden sollte: Durch Eingriffe in die Natur sterben Insektenarten an einem Ort aus, an einem anderen entwickeln sie sich weiter. Mit UV-Licht, überdimensionalen Standlupen und 3D-Insektenskeletten überspitzt Neumeyer den kühlen, technischen Forschungsansatz, der eine Emotionalisierung des Themas sonst nicht zulässt. „Vicious Cycle“ bei Art Laboratory bietet die Möglichkeit, ohne erhobenen Zeigefinger in verschiedene Bereiche der globalen Umweltverschmutzung einzutauchen. Zugleich sind die ausgestellten Arbeiten ein bemerkenswerter Einstieg in ein Thema, das einschüchternd, beängstigend und lähmend sein kann. Dem kuratorischen Team mit Tuçe Erel, Regine Rapp und Christian de Lutz gelingt es, anhand der künstlerischen Positionen einen Ansatz zu veranschaulichen, der die Angst vor der Auseinandersetzung mit dem übermächtigen Thema in neue Bahnen lenkt. Einmal mehr wird offenkundig, wie fruchtbar der Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft funktionieren kann. Neben den ausgestellten Objekten setzt der Projektraum auf nachhaltige Dokumentation. Für Besucher*innen liegen wissenschaftlich aufbereitete Essays der künstlerischen Arbeiten bereit und animieren zu einem Tiefgang in die einzelnen Untersuchungen.  VICIOUS CYCLE. Artistic Research on Climate Crisis 3. März - 30. April 2023 Laufzeit: 4. März – 30. April 2023 (vom 7. – 9. April geschlossen) Öffnungszeiten: Do – So, 14 – 18 Uhr Eintritt frei Art Laboratory Berlin Prinzenallee 34 13359 Berlin artlaboratory-berlin.org

Titel zum Thema Art Laboratory Berlin: Schön schmutzig. Im Teufelskreis von Mikroplastik und anderen Umweltsünden Besprechung: Welch erweiternder Blick sich durch die Kunst auf das Thema Umweltverschmutzung ergeben kann, zeigt die Ausstellung „Vicious Cycle. Artistic Research on Climat Crisis“ bei Art Laboratory Berlin. Soziale Fermentation - Hackers, Makers, Thinkers bei Art Laboratory Berlin Ausstellungsbesprechung: Collective Experiments in Social Fermenting lautet der Untertitel der aktuellen Ausstellung “Hackers, Makers, Thinkers” der mehrfach ausgezeichneten Kunst- und Forschungsplattform Art Laboratory Berlin. Abgestoßene Anziehung Lats Chance: Unsere Besprechung zum Ausstellungsprojekt Paired Immunity der Bio-Art Künstlerin Marta de Menezes und des Immunologen Luís Graça bei Art Laboratory Berlin. Aufkla(e)ren: Kunst und Wissenschaft Bevor die Ausstellung bei Artlaboratory Berlin am Sonntag endet, findet am Samstag eine Konferenz online mit Livestream statt. Vom Mythos der Natürlichkeit Ausstellungsbesprechung: Sie ist uns nah und doch so fern: Wir glauben, die Natur zu kennen und sehen dabei oft nur, was wir sehen wollen – wie die Ausstellung “Swarms, Robots and Postnature” noch bis zum 27.06.2021 bei Art Laboratory Berlin zeigt. Alle Spezies sind gleich Die feministische Gruppenschau The Camille Diaries bei Art Laboratory Berlin und dem Projektraum and OKK. THE CAMILLE DIARIES. New Artistic Positions on M/otherhood, Life and Care Ausstellung + Symposium / Laufzeit: 28.8. - 4.10. 2020 / Art Laboratory Berlin, Prinzenallee 34 and OKK, Prinzenallee 29, 13359 Berlin (Sponsored Link) Finis Pecunia! Viva Mycelia! Ausstellungsbesprechung: Die Ausstellung Borderless Bacteria / Colonialist Cash von Ken Rinaldo bei Art Laboratory Berlin zeigt, dass Banknoten nicht nur Zahlungsmittel, sondern auch ein beliebtes Mikroben-Futter sind. going wrong, turning back, inflexible - Kommunikation mit der nichtmenschlichen Kreatur Ausstellungsbesprechung: Sich mit der Ästhetik der Kunst zu beschäftigen und gleichzeitig neueste Forschungsstände zu existenziellen Themen wie dem Klimawandel zu bekommen - das funktioniert hervorragend bei Art Laboratory Berlin. Die Kunst des Händeschüttelns. Eine neue Ausstellung bei Art Laboratory Berlin Ausstellungsbesprechung: Wer bitte kommt auf die Idee, freiwillig hintereinander 1000 Hände zu schütteln? Und das dazu im Berliner Winter, wo die Infektionsgefahr besonders groß ist. François-Joseph Lapointe lacht. Where there´s dust there´s danger Ausstellungsbesprechung: Der Weddinger Projektraum Art Laboratory Berlin widmet sein Ausstellungsprogramm in diesem Jahr dem Thema [macro]biologies & [micro]biologies - Kunst und Lebenswissenschaften im 21. Jahrhundert. Dramen in der Petrischale - [macro]biologies II: organisms Ausstellungsbesprechung: Der Anblick hat durchaus etwas Apokalyptisches: Aschfahle Froschleiber, die in expressiver Verrenkung ihre verstümmelten Schenkelchen vor die Linse pressen. Art of Science Besprechung: Das Jahresprogramm des Art Laboratory Berlin startet mit einem intensiven Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft. ... Video: Der Projektraum ArtLaboratoryBerlin In unserer neuen Interviewreihe stellen wir Berliner Projekträume vor, die es zu besuchen lohnt. ... A ist blau – ein Künstlergespräch mit Annette Stahmer bei Art Laboratory Berlin A ist blau. E ist weiß. U ist braun; braun wie Holz. Laute werden mit Farben verbunden. Es ist das neurologische Phänomen der Synästhesie, das uns hier begegnet.

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